Leander Schwazer: Extasis

27.04. – 09.06. 2019

Es sind erregte Zeiten. Es geht nicht mehr nur darum die Aufmerksamkeit von anderen Menschen zu erregen, sondern mittlerweile auch von Algorithmen und Maschinen. Die Logik der Sensation lässt unsere uralte, auf Erschrecken und Überraschung gebürstete Wahrnehmung wie einen Kettenhund anspringen.

Leander Schwazer findet in seiner Ausstellung „Extasis“ das Urbild der sogenannten Erregungsgesellschaft, nämlich der Teresa von Avila (1515 – 1582) . Die Skulptur „Die Verzückung der heiligen Theresa“ (1652) von Lorenzo Bernini zeigt die Mystikerin gemeinsam mit einem Engel, der ihr Herz gerade mit einer Lanze durchbohrt.

Leander Schwazer reduziert das Gesicht der Skulptur auf Striche und Punkte, so dass man sie gerade noch als halb geschlossene Augen, oder als zu einem Stöhnen geöffnete Lippen erkennen kann. In den Bildern von Leander Schwazer teilen sich hunderte dieser stilisierten Teresas Augen und Münder, und fügen sich zu einem Ornament aus stöhnenden Augen und sehenden Mündern zusammen.

An die Seite dieser konzeptuellen Bilder stellt Leander Schwazer eine Serie textiler Objekte aus Zement. Das Material scheint der Geschwindigkeit der erregten Gesellschaft zu entsprechen. Es handelt sich um sogenanntes „Concrete Canvas“, ein textiler Zement mit dem im Katastrophenfall in Windeseile Flüchtlingsunterkünfte errichtet oder Flussbette umgeleitet werden können. Mit diesem Material knotet der Künstler Objekte, die eine starke Körperlichkeit aufweisen, oder wie Lappen zum trocknen an die Wand gehängt sind.

Mit diesen Objekten nähert sich Leander Schwazer der berühmten Skulptur von Lorenzo Bernini an, die für ihren schier unendlichen Faltenwurf berühmt geworden ist. Für den französischen Philosoph Gilles Deleuze gaben die unendlich faltenden Marmorfalten Anlass für ein ganzes Buch : „Die Falte“. Faltungen von Stoffen, Draperien und Wandkleidern versteht Gilles Deleuze als operative Funktion des Barock: „ Der Barock bildet (…) unaufhörlich Falten um und um, treibt sie ins Unendliche, Falte auf Falte, Falte nach Falte. (…) wie wenn das Unendliche zwei Etagen besäße: die Faltungen der Materie und die Faltungen der Seele.“ Falten realisieren sich nach Deleuze in der Materie und „aktualisieren“ sich in der Seele. In der Seele sind sie, im Bild der Leibniz’schen Monade, von außen abgeschlossen. In der Materie sind sie wirksam im Außen, indem sie faltend Materie bewegen. Dieses Modell der „gefaltenen Welt“ verschiebt den Blick von der Form zur Funktionalität, was sich nach Deleuze am einfachsten am „textilen Modell“ erkennen lässt, worin die Falten nicht statische Kerbungen darstellen wie in der Renaissance, sondern Bewegung und Bewegtheit initiieren, Körper und Räume ineinander umbrechen lassen, Oberflächen auflösen lassen, „immer aber, um ihn (den Körper) umzudrehen und das Innere daran zur Geltung zu bringen.“ In diesem Modell können Falten nicht zur Dekoration verkommen, weil sie mit Leibniz auf eine enge, konstitutionelle Interaktion zwischen Seele als Ausdruck von Welt, und Welt als Ausdruck von Seele verweisen.

Impressum